Praktische Theologie

Michael Meyer-Blanck: Kirche

Michael Meyer-Blanck: Kirche, Theologische Bibliothek VII, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2022, geb., 348 S., € 39,–, ISBN 9783647553092


Der Bonner Praktische Theologe Michael Meyer-Blanck hat ein allgemeinverständliches Lehrbuch zur evangelischen Kirche vorgelegt. Indem er u. a. seinen liturgisch-homiletischen Forschungsschwerpunkt geltend macht, ergänzt er den Stand der Kirchentheorie, führt ihre Reifung fort und schlägt neue Brücken zu anderen praktisch-theologischen Forschungsfeldern. Für ihn „muss eine Theorie der Kirche vom Kern des Glaubens ausgehen und deutlich machen, warum das Evangelium die Öffentlichkeit sucht und dazu die Institutionalisierung braucht.“ „Erscheinungsweisen“ der Kirche sollen auf die „Grund-Sätze des Glaubens“ zurückgeführt werden (13).

Das Werk gliedert sich in drei Teile und fünfzehn Paragrafen (jeweils mit kurzer Zusammenfassung versehen) und schließt mit einem Ausblick. Es vollzieht wiederkehrend biblische, kirchenhistorische, systematisch-theologische und soziologische Seitenblicke. Dabei wird kein bestimmtes soziologisches Konzept für die Kirchentheorie leitend.

Der Teil Grundlagen erarbeitet die „Kirche des Glaubens“ im Gegenüber zur „Kirche der wissenschaftlichen Beobachtung“, wobei beide Zugänge zur Geltung gebracht werden müssten. Meyer-Blanck modifiziert Eberhard Hauschildts und Uta Pohl-Patalongs Hybridbegriff und spricht von „Institution, Organisation und Inszenierung“; dabei betont er in seiner Monografie insgesamt die Pole von Amtskirche und gottesdienstlicher Interaktion. 

Der Teil Perspektiven thematisiert die Aspekte Kommunikation, Recht und Politik/ Gesellschaft. Es werden jeweils theologische und außertheologische Konzepte in Beziehung zueinander gesetzt. Meyer-Blanck widmet weiterhin der römisch-katholischen Kirche einen Paragrafen, um die Situation der Kirche in Deutschland verständlich zu machen und um ökumenische Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf das gemeinsame Abendmahl, zu umreißen. 

Der Teil Situationen und Sachen schreitet Elemente ab, die klassischerweise Kirche ausmachen: u. a. pastorales Amt/kirchliche Berufe, Kirchenraum, Kunst und Musik. Der Autor unterstreicht – unter Einbeziehung von Festen und Kasualien – die Bedeutung des Gottesdienstes (mit Reiner Preul und gegen die meisten Kirchentheorien). Diesem „performativen Kirchturm“ und seiner liturgischen Tiefe widmet er bisher kirchentheoretisch nicht da gewesenes Augenmerk. Im Gottesdienst werde „wer, was, woher, wofür und wie“ der Kirche öffentlich dargestellt (169). Angesichts der Missbrauchsfälle in den Großkirchen bringt der Autor den Paragrafen „Macht und Sexualität in der Kirche“ in die Diskussion ein. Amtsträger gewönnen durch kirchliche Kommunikation eine „Deutungsmacht“. Deren Missbrauch sei als Vorstufe sexuellen Missbrauchs anzusehen: „Die Tendenz zum professionellen Missbrauch ergibt sich dann, wenn ein pädagogisches Verhältnis in ein familiäres, freundschaftliches, intimes und schließlich in ein erotisches Verhältnis abgleitet“ wird (253). Das Pflichtzölibat der römisch-katholischen Kirche sei problematisch, da sich viele Geweihte nur unzureichend mit ihrer eigenen Sexualität auseinandergesetzt hätten.

Im abschließenden Ausblick hebt Meyer-Blanck hervor, dass die Zukunft der Kirche letztlich nicht auf ihrer eigenen Leistungsfähigkeit beruhe: „Überzeugend ist die Kirche, wenn sie als Zeichen der Zukunft Gottes verstanden wird. […] Ihre Predigt und ihr Dienst, ihre Kunst und ihre Musik sind so faszinierend und ansteckend wie ihre Erwartung, dass Jesus selbst vor ihr hingehen wird und sich sehen lässt“ (326).

Es lässt sich sagen, dass Meyer-Blancks Konzept unter den bisherigen Kirchentheorien den umfassendsten Überblick über die verfasste evangelische Kirche in ihren Gliederungen bietet. Es ist ein optimistisch-wertschätzender Grundton gegenüber dem Vorfindlichen zu verzeichnen. Bedeutende Problemlagen wie der Verfall kirchlicher Strukturen besonders in Ostdeutschland werden ausgespart; andere, wie eine für viele Zeitgenossen unzugängliche Liturgie, nicht näher problematisiert. Dafür bietet Meyer-Blanck ein Portrait der überkommenen Volkskirche, das vielfältige Stärken und Potenziale herausstellt.


Johannes Schütt, Klinikseelsorger, Leipzig